2. Kapitel:
Mac rieb sich verschlafen die Augen. Es war wirklich noch verdammt früh. Und kühl war es zudem auch noch. Er stand auf und ging in sein Zimmer, um sich anzuziehen. Das letzte Mal, daß er so früh morgens am Krater war, hatte er dort oben gefroren. Das würde ihm nicht noch mal passieren. Er zog eine weite bequeme Jeans über die Shorts und einen Fleece-Pullover über das T-Shirt; außerdem griff er zu festem Schuhwerk und seiner Windjacke. Dann klopfte er bei Sam. Er stand ebenfalls fertig angezogen in der Tür. An Frühstück mochten beide so früh noch nicht denken. Sie machten ein paar Sandwiches fertig und packten für jeden ein Lunchpaket. Sam trug seine Kameraausrüstung zum Wagen. Während Mac den Provint ver-staute, schloß Sam das Verdeck des Wagens. Für eine Open-Air-Fahrt war es einfach noch zu kühl. Dann fuhren sie los. In Maalaea angekommen, sahen sie Lilian vor dem Walbesucher-zentrum stehen. Sie trug ebenfalls wärmende bequeme Kleidung. Lilian sah besorgt aus. Aber es gab kein Zurück mehr. Sam stieg aus und rutschte auf die Rückbank. Lilian nahm auf dem Beifahrersitz neben MacGyver Platz. Sie fuhren in Richtung Kahului durch die Nacht. Es wa-ren kaum Fahrzeuge unterwegs.
Sie passierten Kahului südlich und fuhren hinauf zum Gipfel. Bis zum Visitor Center war die Straße hier gut ausgebaut. Als sie den Parkplatz am Ende der Straße erreichten, fanden sie dort doch schon einige andere Wagen vor. Geschäftstüchtige Fahrradverleiher karrten in Kleinbussen Touristen nach oben, um ihnen nach dem Sonnenaufgang noch eine spektakuläre Mountainbike-Abfahrt zu bieten. Mac schüttelte darüber nur den Kopf. Es gab schon seltsame Wege, sich den Hals zu brechen. Sie würden jedenfalls mit der Rückfahrt warten, bis diese Chaoten ihre Abfahrt hinter sich hatten.
Für die Anfahrt hatten sie gute zwei Stunden benötigt. Bis die Sonne aufging, verblieb also noch etwa eine halbe Stunde. Sie beschlossen, erst einmal ein wenig zu frühstücken. Lilian lehnte es jedoch ab, etwas zu essen. Mac zuckte die Schultern dazu. Das mußte schließlich jeder selbst wissen. Hier oben in 3.000 m Höhe war es doch recht kühl. Kurz vor halb sechs half Mac Sam beim Aufstellen seiner Ausrüstung. Vom Visitor Center aus führte eine knieho-he Mauer am Parkplatz entlang. Hinter dieser Mauer fiel sofort der Hang steil ab. Vor ihm lag ein zerklüftetes Tal aus scharfkantiger Lava, das Haus der Sonne. In östlicher Richtung konnte man fast die Küste erkennen. Der Ozean war dort ein schmaler blauer Streifen am Horizont. Sam baute vor dieser Mauer sein Stativ auf und montierte seine Spiegelreflexkamera. Für die-se Sonnenaufgangphotos hatte er extra einen empfindlichen Film eingelegt. Eine zweite Ka-mera trug er am Riemen über der Schulter. Als letztes schloß Sam den Auslöser an. Er kon-trollierte den Bildaussschnitt und maß die Lux-Werte mit dem Belichtungsmesser. Danach korrigierte er kurz die Blendeneinstellung. Wenn es nach ihm ginge, konnte es jetzt losgehen. Und die Sonne ließ sich nicht lange bitten. Man nannte den Krater nicht umsonst 'das Haus der Sonne'. Ein orangefarbener Feuerball schob sich hinter den zerklüfteten Felswänden her-vor und füllte das gesamte Tal mit einem gleißenden Licht. Mac hörte den Verschluß der Ka-mera. Sam änderte den Bildausschnitt und drückte nochmals ab. Innerhalb von Sekunden veränderten sich die Farben der Sonnenstrahlen von orange über einen Rosaton bis hin zum goldenen Gelb. Ein paar Wölkchen am Himmel in östlicher Richtung reflektierten das Licht und warfen interessante Schatten.
Die Sonne bewegte sich relativ schnell. Jedenfalls kam es Sam so vor. Er war sehr beschäftigt damit, die ultimative Kameraeinstellung zu finden. Dann war der Film in der Stativkamera belichtet, und Sam nahm die andere Kamera vor. Jetzt konzentrierte er sich mehr auf das, was ihn umgab: die Leute, die ebenfalls den Sonnenaufgang beobachteten, die metallenen Dächer von Science City, die in der Sonne gleißten und die Wolken am südlichen Horizont und an der Makena Küste. In dieser Richtung war die Bewölkung dichter. Sam fotografierte die Fahrrad-Fahrer, die sich auf ihr Abenteuer vorbereiteten. Nach Süden und Westen lag der Parkplatz praktisch in den Wolken. Sam hielt auch seinen Vater, der ein Gespräch mit dem dienstha-benden Ranger begonnen hatte, im Bild fest. Auch Lilian entging Sams Fotografierwut nicht. Sie stand, in ihre Windjacke gehüllt, am Kraterrand und schaute gedankenversunken hinunter. Ihr rotes Haar wirkte in diesem Sonnenlicht wie Flammen. Die Touristen um Sam herum wirkten wie Eindringlinge; nicht so Lilian. So, wie sie dort stand, bildete sie eine Einheit mit der sie umgebenden Natur.
Sam gegenüber hatte MacGyver etwas angedeutet von Problemen, die Lilian mit den hawaiia-nischen Mythen hatte. Aber Sam hatte nicht genau verstanden, worum es eigentlich ging. Und es ging ihn nichts an. Nach diesem atemberaubenden Erlebnis packte Sam sein schweres Ge-rät wieder ein. In der Kamera, die er umgehängt hatte, wechselte er den Film. Er wollte sich noch etwas die Beine vertreten. Wenn man ihn schon nicht ganztags in den Park ließ, wollte er wenigstens kurzfristig etwas weiter hineingehen.
Als MacGyver sah, daß Sam mit den stationären Aufnahmen fertig war, schloß er sich ihm an. MacGyver zog es hinauf zu Science City. Mit großen Reflektoren wurde hier das Weltall nach Signalen durchforstet. Ein schmaler Weg führte vom Parkplatz dort hinauf. Auch Lilian folgte ihnen langsam und bedächtig. Auf ihrem Weg entdeckte MacGyver unterschiedliche Lavaschichten. Sie unterschieden sich farblich: die Lavamassen waren einem ständig andau-ernden Verwitterungsprozeß ausgesetzt. Die Farbe wechselte dann von schwarz zu braun bzw. rot, je nach Mineralanteil und Alter. Sie gingen bis an den Zaun von Science City heran, sahen sich um und kehrten dann zum Parkplatz zurück. MacGyver genoß die Ausssicht und die Stille. Es bot sich ihnen ein harmonisches Bild, das vergessen ließ, daß sie sich in einen tekto-nisch instabilen Gebiet befanden. Mac verließ gedankenversunken den Weg, um bis auf eine Felsvorsprung zu gehen. Direkt darunter fiel eine Wand gerade ab, ca. 200 Mac in die Tiefe. Er vermied es, direkt nach unten zu sehen. Aber der Blick über das Tal gab ihm das Gefühl grenzenloser Freiheit.
Zu seinen Füßen hatten Flechten begonnen, einen neuen Lebensraum zu erschließen. Er bückte sich und ließ die Finger darübergleiten. Es war erstaunlich, in welch unwegsamen Ge-bieten Leben existieren konnte. Dann entdeckte er eine Türmchen, bestehend aus Lavabrok-ken. Er nahm das oberste Stückchen davon fort und wollte es gerade in die Tasche stecken, als Lilian seinen Arm ergriff. "Nein, nicht. Pele mag es nicht, wenn man ihre Opferstätten anta-stet. Nehmt niemals Lava von hier fort, oder Pele wird euch heimsuchen." Mac sah sie fragend an. "Es ist wahr; es gibt Leute, die sich die Finger verbrannten, nachdem sie Pele beraubten." Sam lachte: "Das wird doch wohl ein Zufall gewesen sein." - "Wenn sie es sagen." Lilian wurde zornig und riß Mac das Lavastück aus der Hand. Dann bückte sie sich, um es zurück-zulegen. Aber sie rutschte mit der Hand aus, und das gesamte Türmchen fiel vollständig aus-einander. Lilian stieß einen Schrei aus. Ihr Gesicht war leichenblaß. Einen Moment lang stand sie wie erstarrt. "Oh, nein", flüsterte sie. "Das ist ein böses Zeichen. Ich habe es gewußt. Ich sollte nicht hierher kommen."
Sam sah Mac fragend an. Der zuckte aber nur mit den Schultern. Lilian hatte sich in der Zwi-schenzeit wieder gefangen. Sie schichtete die Lava erneut auf und errichtete einen zweiten Turm direkt daneben. Obenauf legte sie die Blüte, die sie hinter das Ohr gesteckt trug. Sie murmelte etwas auf hawaiianisch, daß sich in Mac's Ohren wie ein Gebet anhörte. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging zurück zum Wagen: "Ich möchte bitte nach Hau-se. Bitte. Nur weg von hier." Mac gab Sam ein Zeichen, keine Fragen zu stellen. Sie stiegen ein und fuhren zurück. Während der Fahrt sprach niemand ein Wort. Lilian hielt sich krampf-haft am Türgriff fest. Sie verließ in Maalaea den Wagen ohne ein Wort und verschwand im Haus, ohne sich noch einmal unzudrehen. Sam stieg wieder nach vorne. Sie öffneten das Ver-deck des Cabrios für die Weiterfahrt nach Olowalu.
Sam war nun doch neugierig geworden. "Ich verstehe Lilian nicht. Was sollte das ganze?" Mac dachte nach. "Ich glaube, sie hat vor irgendetwas Angst. Diese Angst steckt tief in ihr drin und basiert auf den hawaiianischen Legenden. Kapena sagt, sie hält sich für den Über-bringer des Unglücks. Ich wollte sie eigentlich vom Gegenteil überzeugen. Aber, wenn es Pele wirklich gibt, dann hat sie Lilian fest im Griff." Sie stellten den Wagen vor dem Strandhaus ab und gingen eine Runde schwimmen. Eigentlich wollte MacGyver sich ablenken, aber in Ge-danken sah er immer und immer wieder Lilians blasses Gesicht und ihre weit aufgerissenen Augen, nachdem diese Opferstätte in sich zusammengebrochen war. Wenn jetzt etwas schreckliches geschah, würde Lilian sich die Schuld dafür geben. Er war Kapena keine große Hilfe gewesen. Aber wenigstens hatte er es versucht.
Nach dem erfrischenden Bad legten sie sich in die Sonne. Schließlich hatten sie etwas Schlaf nachzuholen. Gegen Mittag dann holte Wailua Sam ab. Sie wollten die Westküste entlangfah-ren. Wailua kannte dort eine geeignete Stellen zum Surfen. Mac ging ins Haus. Er schnitt sich eine Ananas auf und legte sich dann auf die Couch, um zu lesen. Aber die Müdigkeit steckte ihm noch so in den Knochen, daß er über seine Lektüre wiederum einschlief. Erst das schrille Läuten des Telefons riß ihn aus seinen Träumen. Kapena war am Apparat, und er war sehr aufgeregt. " MacGyver. Gut, daß du wenigstens da bist. Ihr müßt das Strandhaus räumen. So-fort. Kommt zu uns nach Lahaina. Dort seid ihr einigermaßen sicher." MacGyver wechselte den Hörer von der linken in die rechte Hand. "Moment mal, Kapena, nicht so hastig. Warum geht es denn überhaupt, daß du solch eine Panik verbreitest?" - "Sieh nach draußen, Mac!" Kapenas Stimme schlug fast über. Mac nahm das Telefon in die freie Hand und ging zur Terassentür. Über dem Wasser hing eine dichte Wolkenwand. Und es schien, als würde se ständig näherkommen. Der Wellengang war ziemlich hoch, und erste Böen strichen ums Haus. "Na, und. Das Wetter schlägt um." - "Mac, das Barometer ist um mehrere Bar gefallen. Die Winde flauen ab, frischen dann wieder auf und verändern ständig ihre Richtung. Sagt dir das gar nichts?" - "Doch", Mac nickte. "Es zieht ein Sturm auf." - "Ein Sturm? Wenn es nur so wäre. Der Hurrikan, den sie uns versprochen haben, kommt genau auf die Insel zu. Und es sieht nicht so aus, als ob er vorher noch abdreht. Wenn das eintritt, was ich befürchte, steht hier bald keine Palme mehr voll im Blatt. Euer Strandhaus steht zu nahe am Wasser. Pack euren Kram zusammen und komm zu unserem Haus in Lahaina. Es liegt oberhalb des Hafens in einer geschützten Mulde. Ich hoffe nur, daß Wailua und Sam rechtzeitig zurück sind. Es kann sich nur noch um Stunden handeln. Wenn du in Lahaina bist, kümmere dich um meine Frau und Lilian. Ich muß noch mal zu Dock, um die verbleibenden Boote zu sichern." - "Soll ich dir dabei helfen?" - "Nein, das schaffe ich schon. Tue bitte, worum ich dich gebeten habe." Dann legte er auf.
MacGyver fackelte nicht lange. Er stopfte seine Sachen in die Tasche und wiederholte das gleiche mit Sams Zeug. Er schloß das Cabriodach und belud den Wagen. Dann ging er noch einmal durchs Haus und verschloß alle Türen und Fenster. In einer Schublade fand er eine starke Taschenlampe, Batterien, Kerzen und ein Feuerzeug. Er packte es ebenfalls ein. Man wußte ja schließlich nie, wann man es noch mal gebrauchen konnte. Auf den Straßen herrschte Hochbetrieb. Viele Einheimische flüchteten mit ihrer Habe auf die windabgewandte Seite der Insel. Als Mac Lahaina erreichte, war es kurz vor 15.00 Uhr, aber der Himmel war fast schwarz. Kapenas Frau erwartete ihn bereits vor der Haustür. Sie wies ihm einen Platz zu, an dem er den Wagen abstellen konnte, hinter einer festen Mauer, bestehend aus betonierten Lavabrocken. Auch das Haus war von einer solchen Mauer umgeben. Man hatte bereits alles, was nicht hundertprozentig fest war, ins Haus gebracht. MacGyver trug die beiden Taschen hinein und holte dann noch seinen Rucksack und Sams Fotoausrüstung. Kapenas Frau schloß die Tür hinter ihm. Sie legte einen schweren Riegel vor. Mac sah sich um; es waren einige Leute hier versammelt, meist Familienangehörige von Kapenas Mitarbeitern. In der Not hielt man hier zusamen. Mac sah Kapenas Frau an: "Kann ich noch irgendetwas tun?" Sie nickte: "Wir müssen die Fenster noch sichern. Ich werde draußen die Läden schließen. Aber das Glas ist trotzdem bruchgefährdet." Mac griff zu einer Rolle Klebeband. "Ich werde sie von innen abkleben, damit keine Splitter herumfliegen." Er rollte lange Streifen Klebeband ab und be-gann, die Scheiben damit kreuzweise zu bekleben. Das nahm gleichzeitig auch noch die Spannung von der Scheibe. Danach konnte man nur noch warten.
Mac sah auf die Uhr. 15.30 Uhr. Er wünschte sich, daß Sam und Wailua endlich zurückkä-men. Er haßte es, auf etwas Ungewisses zu warten. In der Küche goß er zwei Gläser Milch ein. Er nippte an seinem und bot das andere Lilian an. Aber sie schob es beiseite: "Nein, dan-ke. Aber ich kann jetzt nichts trinken. Sehen sie, sie haben mir nicht geglaubt. Das ist nun Peles Rache dafür, daß wir in ihr Reich eingedrungen sind." Mac konnte darüber nur den Kopf schütteln. "Der Sturm ist seit Tagen angekündigt worden. Das hängt damit nicht zusammen." - "Doch, gewiß. Ich spüre es. Und es wird etwas Schlimmes geschehen." Sie fing hemmungslos an zu schluchzen. Mac war irritiert. Er sah Frauen nicht gerne weinen. Aber in diesem Fall wußte er nicht, wie er sich verhalten sollte. Während er noch überlegte, was er tun sollte, hörte Lilian plötzlich auf zu weinen. Sie rieb sich die Augen und warf trotzig ihr Haar zurück. "Ich glaube, ich weiß jetzt, was ich machen muß, um das Unglück abzuwenden." Sie stand auf und wollte zur Tür gehen. Doch MacGyver stellte sich davor: "Wo wollen sie hin?" - "Lassen sie mich durch! Ich will zum Strand." - "Sie gehen nirgendwo hin. Ihr Vater hat angeordnet, daß alle hier warten. Wollen sie den Märtyrer spielen? Ein Opfer für Pele?"
Sie sah ihn an und versuchte, an ihm vorbeizukommen. Aber MacGyver hielt sie an den Handgelenken fest. "Wenn sie nicht schon erwachsen wären, müßte man sie eigentlich über's Knie legen. Setzen sie sich jetzt wieder hin." Hinter ihm klopfte es an der Tür. MacGyver ließ Lilian los und entriegelte die Tür. Draußen bogen sich schon die Palmen im Wind. Man konnte die Brandung hören. Sam und Wailua hatten endlich den Weg zurück gefunden. Die Strandstraße nach Westen stand schon teilweise unter Wasser. Sie hatten den Wagen abge-stellt und waren quer durch die Zuckerrohrfelder gelaufen. Sam war verschwitzt und schmut-zig, ebenso wie Wailua. Beide waren froh, endlich ein Dach über dem Kopf zu haben. Kurz nach ihnen kamen noch einige Männer vom Dock zurück. Aber Kapena war nicht darunter. Er wollte erst sehen, daß alles gut gesichert war und niemand mehr vermißt wurde.
Sam half Mac, die Tür wieder zu verschließen. "Du glaubst nicht, wie hoch die Wellen sind. Wahrscheinlich wird der Wagen weggespült, wenn die Flut noch weiter steigt." MacGyver nickte. Das war gut möglich. Der Wind trieb das Wasser vor sich her an Land. Was der Sturm nicht mit fortriß, wurde vom Wassser fortgespült. Im Wohnzimmer hatte sich Wailua zu Lili-an gesetzt. Beide hielten sich fest umklammert. Für Wailua war es ebenfalls der erste Hurri-kan, den sie so hautnah erlebte. Das Fernsehen brachte ununterbrochen Meldungen über die Wetterlage. Verhaltensmaßregeln wurden verbreitet, und Anlaufpunkte für Schutzsuchende wurden genannt. Man sollte sich mit Lebensmitteln, Kerzen, Taschenlampen und Decken ver-sorgen. Im Hause Kapena war alles ausreichend vorhanden. Sogar ein Notstromaggregat gab es hinter dem Haus.
Plötzlich verstummte der Fernseher. Es ging nur noch ein Flimmern über den Bildschirm. Eine Windböe mußte den Sendemast erfaßt haben. Kurz darauf flackerte auch das Licht. MacGyver gab Anweisung, alle elektrischen Geräte auszuschalten und die Stecker aus den Dosen zu ziehen. Man wußte ja schließlich nie, welche Ladung noch durch die Leitung ge-schickt wurde, bevor die Stromversorgung zusammenbrach. Jetzt hockten sie also im Dunk-len, bei einigen flackernden Kerzen und warteten darauf, daß der Sturm auf das Land traf.
Sam hatte sich zu Wailua gesetzt und den Arm um sie gelegt. Sie schmiegte sich ängstlich an ihn. Ähnlich verhielten sich auch die Kinder, die anwesend waren. Sie suchten Schutz bei ihren Müttern. Selbst die Promenadenmischung eines der Dockarbeiter wich nicht von der Seite seines Herrn. Mac sah, daß Kapenas Frau immer häufiger auf die Uhr sah; sie wurde langsam unruhig. Lilian dagegen saß steif in einem Sessel, die Hände fest ineinander gekrallt. Sie starrte an die Wand, und ihre Lippen bewegten sich lautlos. MacGyver zog seine Wind-jacke an: "Ich gehe hinaus und sehe, wo Kapena bleibt." Kapenas Frau nickte ihm dankbar zu. Mac entriegelte die Tür und hastete nach draußen. Es gelang ihm nur mühsam, gegen den Wind anzukämpfen. Regen peitschte ihm ins Gesicht. Im dämmrigen Licht tastete er sich bis zur Hauptstraße vor. Dort hielt eine Streifenwagen. Der Polizist kurbelte das Fenster herunter und winkte aufgeregt: "Gehen sie zurück ins Haus. Es kann jeden Moment richtig krachen." Dann fuhren sie weiter. Mac stand einen Moment lang unschlüssig dort, als er auf der anderen Straßenseite Keo Kipahulu entdeckte. "Wo ist Glen Kapena?" brüllte er zu ihm herüber. Keo kam heran. "Ich weiß es nicht. Es war niemand mehr am Dock. Er muß wo anders untergekro-chen sein. Kommen sie schnell! Wir müssen uns beeilen." Dann eilten sie beide zum Haus zurück.
Sam war erleichtert, als er sah, daß sein Vater zurückkam. Lilian sah MacGyver an: "Wo ist Kapena?" Mac schüttelte den Kopf: "Keo sagt, am Dock ist niemand mehr. Es wird ihm schon nichts passieren." Aber er schien Lilian nicht überzeugen zu können. Sie versenkte ihr Gesicht in ihren Händen und hoffte, er würde noch zurückkommen. Aber sie warteten die ganze Nacht vergeblich.
-5-
Am nächsten Morgen war alles vorüber. Die Sonne schien, als wäre nichts gewesen. Der Hur-rikan hatte die Insel voll erwischt. Die Vulkankegel im Osten und Westen der Insel hatten den Wind zwischen sich kanalisiert und über die Insel hinweggeführt. Die Strandpromenade von Lahaina glich einem Trümmerfeld. Die Stelzenhäuser in der Nähe der Pier waren größtenteils zusammengebrochen und mit fortgeweht worden. Beim Pioneers Inn fehlte das halbe Dach. Das Erdgeschoß war unterspült. Zahlreiche Boote hatte der Wind auf den Strand geworfen. Die Carthaginian II lag zwar fest verankert im Dock, aber ihre Masten waren oberhalb des ersten Ausgucks abgeknickt. Die Reste baumelten an den Wanten in der Luft. Überall in den Straßen lagen Sand und hölzerne Trümmer herum. Pkws und sogar große Busse waren umge-stürzt worden. Die Lokomotive der Sugar Cane Train Company lag neben ihren Schienen in den verwüsteten Feldern. Nur ein einziger Waggon stand noch halbwegs auf den Rädern. Wenn der Wind hier solche Verwüstungen angerichtet hatte, wie würde es dann erst in Kahu-lui aussehen?
Kapenas Haus hatte hinter den Steinmauern dem Wind getrotzt. Ein paar Dachziegel waren weggeflogen, aber es waren keine Scheiben zu Bruch gegangen. MacGyver half Keo und Ka-penas Frau, die Fenster wieder frei zu machen, damit Licht ins Haus fiel. Der prachtvolle Garten, den Kapenas Frau so sorgfältig gepflegt hatte, existierte nicht mehr; der Wind hatte die hohen Bäume entlaubt und kleinere entwurzelt. Durch die Straßen fuhren Polizeiwagen, die über ihre Lautsprecher Verhaltensmaßregeln verbreiteten. Der Governeur von Hawaii hatte die Insel zum Notstandsgebiet erklärt. Touristen wurden aufgefordert, sich mit den Mi-litärhubschraubern von Kahului aus ausfliegen zu lassen. Strom- und Telefonleitungen waren größtenteils unterbrochen. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, sich ruhig zu verhalten, zu ihren Häusern, oder was davon übrig war, zurückzukehren und bei den Aufräumarbeiten zu helfen.
Viele von Kapenas Leuten kamen dieser Aufforderung nach. Sie wollten sehen, was von ih-rem Besitz übriggeblieben war. MacGyver sah ihnen nach. Kapenas Frau trat auf ihn zu und legte ihre Hand auf seinen Unterarm: "Bitte, helfen sie, meinen Mann zu suchen." Sie hatte Tränen in den Augen. "Ja, gewiß. Wir gehen sofort los. Bleiben sie hier bei den Mädchen. Komm, Sam. Wir gehen runter zum Dock." Sam ließ sich nicht lange bitten. Auch Keo Kipa-hulu schloß sich an. Am Dock sah es auch nicht besser aus als in der Stadt. Einige Glasboden-boote lagen zerbrochen am Strand. Die 'Aina' war eines der wenigen Boote, die den Sturm relativ unbeschadet abgewettert hatten. Sie hatte Fender und alte Autoreifen außenbords hän-gen, und man hatte ihr genügend Tau gelassen, um auf den Wellen tanzen zu können. Viele andere hatten ihre Boote vorher weggebracht, zu einer der Nachbarinseln. MacGyver und Keo nahmen die Enden auf und zogen das Boot in die Nähe des Steges. Das kostete einiges an Kraft.
Mac eilte dann unter Deck. Er hoffte, Kapena habe sich dort verschanzt. Aber er fand nieman-den vor. Als er den Niedergang wieder heraufkam, schüttelte er den Kopf: "Hier ist er jeden-falls nicht." Sam, der an der Pier gewartet hatte, deutete auf die Trümmer des Lagerschuppens. "Er wird doch wohl nicht dort drin gewesen sein?" Mac und Keo gingen ebenfalls wieder an Land. "Das will ich nicht hoffen." Keo schüttelte den Kopf. "So unvernünftig ist Kapena nicht." - "Aber nachsehen sollten wir trotzdem." Das, was einmal das Lager war, bestand jetzt nur noch aus mehreren Lagen Wellblech und Holz, durchsetzt mit Ersatzteilen für Bootsmoto-ren und sonstigem Kleinkram. Sie schoben die großen Teile soweit beiseite, wie sie konnten, aber sie fanden nichts.
Aber so einfach aufgeben wollte MacGyver dann doch nicht. Schließlich mußte er Kapenas Frau ja erzählen, was sie vorgefunden hatten. Und letztendlich gab es noch die Möglichkeit, daß Kapena auf der Carthaginian II war, der einzige Platz, wo sie noch nicht nachgesehen hatten. Sie begannen nach Kapena zu rufen. Und schließlich glaubte Mac, von irgendwo her leise seinen Name zu hören. Er blieb abrupt stehen. "Wartet mal. Ich glaube, ich habe etwas gehört." Er sah sich dort um, wo er stand. Hier lag eine Menge Wellblech herum. Der Wind hatte es in eine Ecke getrieben. Vorsichtig entfernten Mac und Sam ein paar Teile davon. Dann hielt MacGyver inne.
Er hatte in dem Chaos einen Schuh entdeckt. Einen geflochtenen Lederschuh, wie ihn Kapena getragen hatte. "Los, er muß hier drunterliegen. Beeilen wir uns." Sie begannen, systematisch die Trümmer fortzuziehen, meist nur leichtes Zeug. Aber dann verschlug es Mac fast den Atem. Der Hurrikan hatte eine der Winden, die zum Einsetzen der kleineren Boote verwendet wurden, aus der Verankerung gerissen und durch die Luft gewirbelt. Es hatte Kapena von hinten von den Beinen gerissen und ihn unter den Metallstücken begraben. Eine ziemlich schwere Last drückte auf seine Beine. MacGyver rief ihn an, aber Kapena bewegte sich nicht. Er lag auf dem Bauch, die Hände vor sich in den Boden gekrallt. "Kapena, wir werden dich hier rausholen. Los, gib uns ein Zeichen, wenn du mich verstehst." Zunächst kam keine Reak-tion, aber dann bewegten sich die Finger der rechten Hand. Kapena hielt Daumen und kleinen Finger ausgestreckt; die drei anderen waren gebeugt: "Hang loose!" Wenigstens hatte Kapena nicht seinen Humor verloren. MacGyver sah sich um; sie mußten etwas finden, womit man den schweren Eisenträger anheben konnte. Keo war zur Straße gelaufen, um jemanden von den Hilfstruppen aufzuhalten. Aber er kam bald zurück, ohne Begleitung.
MacGyver fiel ein, daß er vorhin in der Ersatzteilbaracke Wagenheber gesehen hatte. Er schickte Sam los, zwei davon zu holen. Sam beeilte sich. Aber es stellte sich heraus, daß sie praktisch wertlos waren, denn sie arbeiteten pneumatisch, und ihre Druckpatronen waren leer. Aber es lag nicht in MacGyver's Natur, so schnell aufzugeben. Auf der 'Aina' hatte er die Lun-genautomaten der Tauchausrüstungen liegen sehen. Sie waren frisch aufgeladen gewesen. Damit mußte sich doch etwas anfangen lassen. Er beeilte sich, zwei der Automaten heranzu-schaffen. Mac schraubte ein Mundstück ab und steckte den Schlauch auf den Stutzen des Wa-genhebers. Er paßte so leidlich. Dann klopfte er seine Jackentasche ab und fand noch einen Rest Klebeband. Damit klebte er die Schnittstelle ab. Sam verfuhr mit dem zweiten Lun-genautomaten genauso.
MacGyver sah zu ihm herüber. "Ist bei dir alles klar?" Sam nickte. MacGyver winkte Keo heran. "Wir versuchen jetzt, den Träger etwas anzuheben. Wenn es hoch genug ist, ziehen sie Kapena dort raus. In Ordnung?" - "Ja". Mac positionierte den Wagerheber so, daß mit mög-lichst wenig Kraftaufwand viel bewegt werden konnte. Er spürte, daß Sam ebenso angespannt war, wie er selbst. "Okay, wir sollten jetzt möglichst gleichzeitig die Ventile öffnen. Laß das Gas langsam herausströmen. Dann haben wir das Ganze besser unter Kontrolle. Wir beginnen auf 'drei'." Sam zeigte nickend, daß er verstanden hatte. Mac begann zu zählen. "Eins - zwei - drei". Dann konnte man hören, wie das Gas aus den Flaschen strömte. MacGyver kam es fast vor, als ob eine Ewigkeit verging, bis die pneumatischen Kolben der Wagenheber sich be-wegten. Kapena stöhnte, als der Träger seine Beine freigab. MacGyver rief Keo zu: "Sie müs-sen sich gleich beeilen, wenn sie ihn rausziehen. Die Kolben tragen den Träger nur, solange noch Gas in den Flaschen ist. Wenn sie entleert sind, ist es vorbei." Keo Kipahulu nickte. Ihm stand der Schweiß auf den Stirn. Er hockte hinter dem Träger, bereit, seinen Chef an den Händen dort herauszuziehen. Der Druckanzeiger an der Flasche zeigte Mac an, daß sie nun bald leer sein würde. Der Kolben des Wagenhebers war fast vollständig ausgefahren. Viel weiter würde es nicht mehr gehen. Es mußte einfach reichen. "Los", brüllte MacGyver, und Keo zog an Kapenas Armen.
Kapena war ein stattlicher Mann, und Keo Kipahulu ein schmales Bürschchen. Aber Keo war zäh. Er wußte, daß jetzt alles von ihm abhing. Als er Kapena ca. eineinhalb Meter weit gezo-gen hatte, gaben die Kolben der Wagenheber nach, und der Träger sackte nach unten. Sam hätte sich fast noch die Finger geklemmt, aber er konnte die Hand noch schnell genug weg-ziehen. MacGyver war erleichtert. Er ließ alles stehen und liegen und eilte zu Kapena. Vor-sichtig drehten sie ihn um. Kapena hatte die ganze Nacht unter diesem Träger ausgeharrt. Sei-ne Hände waren aufgeschürft, ebenso wie sein Gesicht. Seine Kleidung war durchgeweicht. MacGyver bettet seinen Kopf auf seine Jacke. "Los, Sam. Lauf zum Haus und sieh zu, daß ein Rettungswagen kommt. Er muß so schnell wie möglich in ärztliche Behandlung." Sam rannte los, so schnell er konnte. "Keo, holen sie eine Decke vom Boot. Ich habe auf der 'Aina' welche gesehen." Das ließ sich Keo nicht zweimal sagen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Sam zurückkam. Kapenas Familie begleitete ihn. Wailua klammerte sich weinend an den Arm der Mutter. Nur Lilian stand aufrecht und stumm, und ihr Blick schien zu sagen: "Ich habe doch gewußt, daß etwas schreckliches passiert." Dann fuhr eine Ambulanz vor. Es gab nur noch wenige auf Maui, die fahrtüchtig waren. Und diese waren pausenlos im Einsatz. Man bettete Kapenas Beine in Vakuumschienen, um zu vermei-den, daß sich die gebrochenen Knochen während des Transports weiter verschoben. Dann lud man ihn auf die Bahre und brachte ihn zum Wagen. Kapena reagierte nicht, als der Arzt ihn ansprach. Sie schloßen ihn an den Tropf an. Und man kontrollierte seine Atmung. Sie war flach, aber regelmäßig. Seine Frau durfte ihn im Rettungswagen begleiten.
Wailua ließ ihre Mutter nur ungern los, aber sie mußte sie fahren lassen. Sam nahm sie in den Arm und führte sie zum Haus zurück. Lilian stand immer noch unbeweglich am Dock und betrachtete das Trümmerfeld. MacGyver trat neben sie. "Kommen sie, Lilian. Wir fahren mit dem Wagen zum Krankenhaus." Lilian regierte nicht. "Sie haben mir nicht geglaubt, wieviel Macht Pele hat. Jetzt haben sie es mit eigenen Augen gesehen." Mac drehte Lilian zu sich um: "Hören sie auf damit, sich die Schuld zu geben. Er war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Sein einziger Fehler war, daß er selbst für die Sicherheit seiner Leute sorgen wollte, und nicht auch ein wenig an sich dachte. Im übrigen war ich vor ein paar Jahren auf Big Island, als vom Halemaumau die Lava bis zum Pazifik floß. Ich kenne Peles Macht, und ich respektiere sie auch. Aber sie machen sich zu ihrer Sklavin. Und das kann es doch nicht sein, was sie wollen? Oder?"
Lilian sah ihn stumm an und wand sich dann aus seinem Griff: "Sie sind ein Haole. Sie geben nur vor, etwas zu verstehen." Dann folgte sie Sam und Wailua. Mac blieb noch für einen Au-genblick stehen. Er konnte nicht begreifen, wie jemand so verbohrt sein konnte. Er hatte das unmittelbare Bedürfnis, sich abreagieren zu müssen. Also ballte er seine Fäuste, als wollte er einen imaginären Gegner niederboxen. Aber dann hielt er inne. Gewalt hatte ihn noch nie viel weiter gebracht. Vielmehr sollte er versuchen, seine Wut in positive Energie umzuwandeln.
Als er die Straße erreichte, saßen Sam und die Frauen schon im Wagen. MacGyver setzte sich auf den Beifahrersitz. Wailua lotste Sam von der Rückbank aus nach Kahului. Lilian sagte während der ganzen Fahrt kein Wort. MacGyver schwieg ebenfalls. Seine Gedanken weilten bei Pele und der Vorstellung, wie die ganze Geschichte ausgegangen wäre, wenn der Sturm sie im Park überrascht hätte. Eigentlich sollte man gar nicht darüber nachdenken. Für Sam und ihn war es ein Glück gewesen, daß sie Kapena getroffen hatten.
Als Krankenhaus diente in Kahului eine Zeltstadt, die die National Garde in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz errichtet hatte. Das ursprüngliche Krankenhaus wies eine zerstörte Fen-sterfront auf und konnte momentan nicht benutzt werden. Alle transportfähigen Kranken wur-den auf andere Inseln ausgeflogen; ebenso verfuhr man mit den Touristen, die noch auf der Insel waren. Kapena wurde ärztlich versorgt. Dann kam der Arzt zu ihnen heraus. "Ihr Mann hat viel Glück gehabt, Mrs. Kapena. Seine Beine sind zwar vielfach gebrochen, und es wird eine Weile dauern, aber es ist nicht alles verloren. Er wird wieder gehen können." Kapenas Frau standen die Tränen in den Augen. "Sobald wir ihn stabilisiert haben, fliegen wir ihn nach Oahu. Möchten sie ihn begleiten?" Seine Frau nickte. Dann sah der Arzt in die Runde. "Ist hier irgendwo ein Mr. MacGyver anwesend?" Mac trat vor: "Ja, das bin ich." - "Mr. Kapena möchte sie sehen. Er ist bei Bewußtsein. Aber bitte, nur kurz."
Mac nickte. Dann folgte er dem Arzt. Kapenas Augen waren wirklich offen. Er drehte dagar den Kopf, als er MacGyver kommen hörte. "Hallo," sagte Mac. "Du hast uns einen schönen Schrecken eingejagt." Ein Anflug von einem Lächeln glitt über Kapenas Lippen. Es war, als wolle er etwas sagen, aber MacGyver konnte es schlecht verstehen. Er beugte sich über Ka-pena, sein Ohr dicht an Kapenas Mund. "Ich wollte dir danken und dich um etwas bitten." - "Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht." - "Die Wale! Beschütze die Wale!" Bevor MacGyver etwas antworten konnte, trat der Arzt wieder hinzu und bat ihn, die Krankenstation zu verlassen. MacGyver drückte Kapenas Hand. "Ja, ich verspreche es Dir." Dann ging er. Draußen verabschiedete er sich von Kapenas Frau. "Geben sie gut auf ihn acht. Wir werden uns um die Station kümmern." Sam nickte dazu. Dann bestiegen sie wieder den Wagen und fuhren an die Küste zurück.
Ihr Weg führte sie quer durch die Stadt. Erst jetzt wurde MacGyver das Ausmaß der Katastro-phe klar. Der Wind hatte alle oberirdisch verlaufenden Kabel mit fortgerissen. Es gab weder Strom- noch Telefonverbindungen auf der ganzen Insel. Einzig über Funk konnte man etwas erreichen. Der Governeur hatte alle offiziellen Hilfskräfte auf der Insel zusammengezogen, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen und um für Ordnung zu sorgen. Am Stadtausgang wurde der Wagen angehalten. "Darf ich mal ihre Papiere sehen?" Dagegen war nichts einzuwenden. Der Soldat überprüfte Führer- und Fahrzeugschein. "Sie fahren einen Mietwagen, und sie sind hier nicht ansässig. Alle Touristen wurden aufgefordert, die Insel zu räumen." Mac nahm seine Sonnenbrille ab. "Hören sie, wir sind nicht zum Spaß hier. Ich wurde von Glen Kapena beauftragt, während seiner Krankheit seine Forschungsstation zu unterstützen." Wailua mischte sich von hinten ein. "Ja, ich kann das bestätigen." Mac machte eine Handbewegung, die zu sagen schien: 'Na, bitte, da sehen sie es.' Der Soldat zögerte noch etwas. Aber dann gab er MacGyver die Papiere zurück. "In Ordnung, Mr. MacGyver. Wenn sie es so haben wollen. Solange sie hier niemanden von wichtigen Arbeiten abhalten, geht das klar." Mac steckte seine Papiere zurück in die Jackentasche. Er grüßte den Soldaten beim Wegfahren und reihte sich wieder in den Verkehr ein.
Der gesamte flache Mittelteil der Insel mit seinen Zuckerrohr- und Ananasfeldern war vom Sturm verwüstet worden. Es würde Jahre dauern, bis sich die Vegetation wieder von dieser Katastrophe erholen würden. Als erstes hielten sie in Maalaea. Auch hier war ziemlich viel zerstört worden. In dem Schaupavillion waren zahlreiche Scheiben zersplittert. Vitrinen waren umgeworfen und zerbrochen worden. Die Ausstellungsstücke lagen zwischen den Scherben am Boden. In einer Ecke des Raumes lagen die Knochen des Walskeletts, das unter der Decke gehangen hatte. Wailua krempelt sich die Ärmel hoch und begann, die Exponate einzusam-meln. Sam half ihr dabei. Lilian holte aus einer Abstellkammer Kartons, damit sie darin die Fundstücke sammeln konnte. Erst, wenn der Boden gereinigt und die Fenster erneuert waren, machte es Sinn, die Auslagen wieder zu ordnen.
MacGyver ging nach draußen. Der steinerne alte Leuchtturm hatte der Naturgewalt getrotzt. Auch das Bassin war noch intakt. Er vermutete, daß der Seegang bis hier herein geschwappt war. Mac beugte sich zum Beckenrand und fuhr ein paar Mal mit der Hand durchs Wasser. Der Wal ließ nicht lange auf sich warten. Bald fühlte Mac die rauhen Seepocken des Mutter-tieres zwischen seinen Fingern. Sie hatte ganz vorsichtig ihre Nase unter seine Hand gescho-ben. Mac tätschelte ihre Haut: "Na, habt ihr alles gut überstanden?" Er erhielt keine Antwort. Stattdessen öffnete sich das Atemloch des Wals und die Walkuh bliess etwas Wasser heraus. "Sie fühlt sich wohl." MacGyver drehte sich um. Lilian stand hinter ihm. "Ja, ihr und dem Kleinen geht es gut." Mac deutete aufs Wasser, wo der junge Wal ausgelassen tobte, als wäre nie etwas passiert. MacGyver stand auf. Der Wal schnaubte nochmals und schwamm dann vom Rand fort. "Wailua sollte dich gleich füttern. Ach übrigens, Keo hat uns gerade ange-funkt. Wir sollen nach Lahaina zurückkommen. Wailua hat gesagt, sie kommt hier alleine klar. Keo kann sie dann später abholen." MacGyver nickte. Lilian war jetzt der Boss hier, so-lange Kapena verhindert war.
Sie gingen zum Wagen zurück. Sam ließ Wailua nur ungerne allein zurück. Aber MacGyver vermutete, daß er in Lahaina mehr helfen konnte als hier. Sie fuhren die Küstenstraße entlang. Das Meer hatte sich wieder beruhigt und lag friedlich da, als ob nichts gewesen wäre. Der Himmel war fast wolkenfrei. Nur Äste auf der Straße und vereinzelt kleine Sandhaufen wie-sen darauf hin, daß sich doch etwas geändert hatte.
Im Hafen von Lahaina herrschte schon wieder geschäftiges Treiben. Kapenas Männer hatten erst zuhause nach dem Rechten gesehen und waren dann erschienen, um bei den Aufräumar-beiten am Dock zu helfen. Lilian sah sich im Büro und den daran angrenzenden Lager um. Vom Lager stand nicht mehr all zu viel, wie Mac bei Kapenas Rettungsaktion schon festge-stellt hatte. Das Büro stand noch, aber es lag alles wild durcheinander. Die Flutwelle, die der Wind vor sich hergetrieb, hatte das Büro halb unter Wasser gesetzt. Viele Aufzeichnungen waren bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht und unwiederbringlich verloren. Lilian sah sich um: "Es gibt so viel zu tun. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es ist alles meine Schuld. Meine Schuld." - "Quatsch", MacGyver faßte sich in den Nacken. Jetzt ging das schon wieder los. Er konnte es langsam nicht mehr hören. "Sie steigern sich da in etwas hinein, was nicht real ist. Es ist nur Sachschaden entstanden. Niemand hat sein Leben verloren." Sie lachte hysterisch. "Ja, aber fast." - "Warum nehmen sie es nicht als Zeichen, daß alles nicht so schlimm war?" Aber Lilian hörte ihm gar nicht zu. Sie hatte die Schaltzentrale des Büros be-treten. Hier stand noch kniehoch das Wasser drin. Es lief ihr über die Füße, als sie die Tür öffnete. "Das hat gerade noch gefehlt. Das Radargerät ist hin. Ich dachte, es wäre nur die An-tenne auf dem Dach abgeknickt."
MacGyver sah sich den Schaden an. "Das wird Tage dauern, bis das alles wieder richtig läuft. Soviel Zeit wird doch wohl noch sein, oder?" Lilian überlegte. "Es könnte knapp werden. Die-se Anlage hat für uns das Meer auf Anzeichen von Walen abgesucht. Einige der Tiere haben Sender, auf die die Anlage reagiert, wenn sie in Reichweite kommen. Das Ganze ist so einge-stellt, daß wir dann genug Zeit haben, um die Absperrungen vorzubereiten. Wenn jetzt der Wind den Zug der Wale beeinflußt hat, kommen sie vielleicht eher als erwartet, und wir mer-ken es nicht." - "Also gut. Ich werde sehen, was zu retten ist, aber erst muß hier alles abtrock-nen. Sammeln sie ihre Sachen ein und sorgen sie dafür, daß der Raum gut gelüftet wird. Wi-schen sie das Wasser auf. Wenn morgen alles trocken ist, werden ich versuchen, mit dem Not-stromaggregat auf dem Wohnhaus die Anlage ans Laufen zu bringen. Ich sehe jetzt draußen nach Keo und den Bojen."
Sie arbeiteten den ganzen Tag. Als es dunkel wurde, gingen sie zum Wohnhaus zurück. Keo war nach Maalaea gefahren, um Wailua abzuholen. Auch dort gab es noch alle Hände voll zu tun. Dieser anstrengende Tag hatte sie alle sehr mitgenommen. Keo Kipahulu hatte es sich auf der Couch bequem gemacht. Die beiden Frauen waren in ihren Zimmern. Mac und Sam hatten ihre Unterlegmatten und Schlafsäcke herausgekramt und in einer Ecke des Wohnzimmers ein Lager aufgeschlagen. Sam war sofort eingeschlafen. Aber MacGyver dachte nochmal darüber nach, was alles passiert war. So dramatisch hatte er sich seinen Urlaub eigentlich nicht vorge-stellt. Und für Sam sah es auch nicht viel besser aus. Sein Auftrag war erst zum Teil erfüllt. Und es blieb abzuwarten, wann man den Krater wieder für Besucher freigab. Manchmal war Mac sich nicht sicher, ob es nicht vielleicht seine Person war, die die Katastrophen anzog. "Blödsinn", sagte er zu sich selbst. "Jetzt reagierst du schon genau wie sie." MacGyver drehte sich auf die Seite. Und er träumte von Pele. Er sah einen imaginären Kopf mit ebenen Ge-sichtszügen. In ihrer Stirn rollten sich Wellen zu Locken zusammen. Eine Hibiscusblüte steckte hinter ihrem rechten Ohr. Sie trug einen Blätterkranz auf dem Haupt und einen Kranz aus Macadamianüssen um den Hals. Darunter hing eine Korallenkette. Und ihr schwarzes Haar ergoß sich als Lava über ihre Schultern. Es sah so aus, als streckte sie die Hände nach ihm aus. MacGyver begann zu laufen. Er lief und lief und lief. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er fühlte, wie ihm ihre Wärme im Nacken stand. Er versuchte, sie fernzuhalten, aber seine Arme waren irgendwie gebunden. Und die Dunkelheit kam über ihn. Er hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Er fiel. Fiel, ohne irgendwo aufzuschlagen.
MacGyver riß die Augen auf. Es war bereits hell draußen, und die Sonnenstrahlen fielen durch die Fenster genau auf sein Gesicht. Er wandt sich aus seinem Schlafsack. Es war alles nur ein Alptraum gewesen. Mac zog seine Jeans an und ein T-Shirt über und trat dann vor das Haus. Das Thermometer zeigte bereits am frühen Morgen 20 Grad C an. Es würde ein schöner Tag werden, wenn nichts dazwischen kam.
- 6 -
Nach dem Frühstück fuhr Wailua mit Keo zurück nach Maalaea. MacGyver sah als erstes im Büro nach der Radaranlage, aber viele Kontakte waren immer noch feucht, andere angelaufen. Das Liquid-Display war beschlagen. Es kam selten vor, daß er nicht weiterwußte. Und in die-sem Fall wäre es wichtig gewesen; lebenswichtig für die Wale. Aber ohne die nötigen Ersatz-teile war hier wohl nichts viel zu machen. Man konnte nur warten, ob sich die Feuchtigkeit vollständig verzog. Andernfalls mußte das Gerät von einem Fachmann repariert, gewartet und geeicht werden. Oder noch besser, man sollte es ersetzen, wenn Kapenas finanzielle Lage es zuließ. Frustriert ließ er eine Handvoll Kabel durch die Finger gleiten, als Sam auf ihn zutrat. "Nun, wie sieht es denn hier aus?" - "Frag lieber nicht. Ich bin schließlich kein Zauberer." - "Dann wird aber jemand ziemlich enttäuscht sein." - "Ich habe nur versprochen, daß ich es mir ansehe, nicht, daß ich ein Wunder vollbringen werde. Sieh dir diese Kiste doch an." Er tat so, als wolle er davortreten. "Ich muß jetzt erst was anderes machen, sonst platzt mir hier der Kragen."
Er zog Sam mit hinaus. Lilian kam ihnen am Steg entgegen. "Lassen sie das Gerät ruhig erst einmal stehen. Wir können jetzt jede Hand am Dock gebrauchen. Die abgeknickten Masten der Carthaginian II müssen runter, sonst drückt der Rumpf in Schieflage zu sehr gegen die Dockwände. Und es besteht die Gefahr, daß jemand durch herabstürzende Teile verletzt wird."
Man hatte bereits eine Art Kran errichtet. Mit Seilen wurden die losen Mastteile gesichert. Dann enterten ein paar Hawaiianer auf, um die Takelage zu lösen. Die Aktion dauerte den ganzen Vormittag, war aber letztendlich vom Erfolg gekrönt. Selbst Teile der Takelage waren gerettet worden und konnten nach der Wiederherstellung der Masten erneut verwendet wer-den. Lilian war zufrieden. Sie schickte die Leute nach Hause. Für heute hatten sie hier genug getan. Es wurde ruhig auf dem Dock, und MacGyver glaubte, nun endlich die Muße zu haben, vielleicht doch noch Teile der elektrischen Überwachungsanlage zu aktivieren. Vielleicht konnte man Teile vom Radar der 'Aina' verwenden. Er ließ Sam und Lilian allein zum Büro gehen und sah sich auf dem Schiff um. Er prüfte die Anschlüsse und Leitungen, aber es waren zwei verschiedene Systeme, die leider gar nicht kompatibel waren. Das wäre auch zu einfach gewesen. Außerdem bestand die Gefahr, daß hinterher beide Systeme nicht mehr einwandfrei geeicht waren. Er beschloß, die Entscheidung Lilian zu überlassen. Schließlich war sie jetzt der Boss.
Er öffnete gerade die Bürotür und setzte zu seiner Frage an, als ihn von hinten jemand mit einem schweren Gegenstand am Kopf traf. Ihm wurde schwarz vor Augen, während er zu-sammenbrach. Man zog ihn ins Büro und schloß erneut die Tür. Sam und Lilian wurden von drei maskierten Männern in Schach gehalten. Sam wollte nach seinem Vater sehen, der bewe-gungslos am Boden lag, aber einer der Maskierten hielt ihn davon ab. "Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Ihr habt gesagt, ihr wärt allein hier." Dann drehte er sich zum eigentlichen Sprecher der Gruppe um: "Was machen wir denn jetzt? Sie werden uns verraten!" - "Wir ma-chen das, was wir ursprünglich geplant hatten. Es konnte ja niemand ahnen, daß der alte Ka-pena sowieso nicht hier sein würde. Wir bringen sie auf den alten Kahn und sperren sie dort ein, bis das Rennen vorbei ist."
Lilian wollte sich auf sie stürzen: "Ihr wollt jetzt das Rennen durchführen? Ausgerechnet jetzt?" Der Chef der Gruppe hielt ihr die Pistole an den Kopf und spannte den Hahn. "Natür-lich jetzt. Wann denn sonst? Die Polizei ist beschäftigt, um für Ordnung auf der Insel zu sor-gen. Wer kümmert sich da schon um ein paar Rennboote? Wenn du das Maul genauso auf-reißt, wie dein Alter, kannst du ihm bald im Krankenhaus Gesellschaft leisten." Er lachte. Dann zeigte er mit der Waffe zur Tür. "Los jetzt. Bewegt euch." Sam beugte sich zu MacGyver: "Dad? Kannst du mich hören?" - "Entweder ihr seht zu, wie ihr ihn bewegt, oder ich knalle ihn gleich hier ab." Sam hob beschwichtigend die Hände. "Schon gut. Nur keine Panik. Kommen sie, Lilian. Nehmen sie den rechten Arm. Ich nehme den Linken." Sie nah-men MacGyver zwischen sich und schleppten ihn durch die Tür nach draußen. Auf dem Pier, wo eine leichte Brise wehte, kehrten Mac's Lebensgeister zurück.Automatisch begann er, die Füße zu bewegen. Sein Schädel brummte, und seine Wahrnehmung war noch getrübt.
"Wo gehen wir hin, Sam?" murmelte er. "Dort rüber zum Schoner. Sie sperren uns ein, haben sie gesagt." - "Wer sind 'sie'?" - "Dad, nicht jetzt. Tu einfach, was sie sagen." Mac sah aus den Augenwinkeln, daß die Gegner zu dritt waren und Waffen hatten. So, wie es momentan aus-sah, hatten sie keine Chance. An der Carthaginian II angekommen, stieg als erstes einer der Maskierten die Gangway hinauf. Er bedeutete Lilian, ihm zu folgen. Mac hatte Mühe, die steile Rampe zu erklimmen. Sam mußte ihn stützen. Zum Schluß kamen noch die beiden An-deren nach. Im Gänsemarsch stiegen sie die Niedergänge hinunter, bis sie das Zwischendeck erreichten. Eine halbhohe Tür verschloß den Blick auf dicke Taue und Netze. Man ließ Lilian den Vortritt und stieß Mac und Sam hinterher. Dann wurde die Tür von außen abgeschlossen. Man konnte noch hören, wie sich Schritte entfernten. Sie blieben allein in der Dunkelheit zu-rück.
Mac rieb sich den Hinterkopf. Dort würde sich eine prächtige Beule entwickeln. Wenn er den Kopf schnell bewegte, fuhr ihm ein stechender Schmerz bis an die Schläfe durch und durch. Gleichzeitig stieg ihm der muffige Geruch von altem Tran in die Nase. Auch dieser Geruch trug nicht gerade zu seinem Wohlbefinden bei. Er ließ sich auf einem Haufen Seile nieder. "Hast du eine Idee, wie wir hier raus kommen, Dad?" Mac zuckte mit seinen Mundwinkeln. "Wie wäre es mit etwas Licht? Hast du Streichhölzer dabei?" - "Ja, irgendwo, in meiner Jack-entasche. Gott sei Dank, haben sie uns nicht alles weggenommen. Moment, ich hab es gleich." Sam durchwühlte seine Taschen. "Hier, ein Päckchen, 20 Stück, aus dieser Hafenkneipe." - "Okay, halte sie fest. Vielleicht finden wir noch etwas anderes." Mac tastete mit den Fingern den Boden im Halbdunklen ab. Nur durch einen Spalt in der Tür fiel etwas Licht hinein, gera-de soviel, daß man Umrisse erkennen konnte. "Lilian, sie kennen doch das Boot wie ihre We-stentasche. Was ist um uns herum?" - "Über uns sind die Kabinen und unter uns liegt das Kielschwein. Warum?" - "In Booten mit Motoren ist meist an der tiefsten Stelle ein Gaswarn-gerät angebracht." - "Das hat dieses Boot auch, weil Besucher darauf herumlaufen. Da muß man gegen jede Kleinigkeit abgesichert sein. Schließlich wird hier auch mit Gas und Strom gearbeitet." Mac tastete den Boden ab. Sein Finger verkrallte sich in einem Astloch. Das war doch wenigstens ein Anfang.. Er nahm sein SAK heraus und legte das Sägeblatt frei. Als Lili-an hörte, wie sich die Zähne der Säge durch das Holz fraßen, schrie sie fast auf: "Was machen sie da?" - "Jedes Warngerät hat eine eigene unabhängige Stromquelle. Ich versuche, nach un-ten durchzubrechen." - "Sie beschädigen das Schiff. Wissen sie, wie lange wir gebraucht ha-ben, bis es halbwegs wieder im Originalzustand war? Es muß einen anderen Weg geben."
So viel Starrköpfigkeit hatte Mac gerade noch gefehlt. Er fühlte sich ins Mittelalter zurückver-setzt. Okay, wenn sie es so wollte.Dann würden sie das Problem eben auf die alte Walfän-gerart lösen. "Sam, leer deine Taschen aus. Laß mich sehen, was du sonst noch dabei hast." Mac tat das Gleiche. Es kam nicht besonders viel zusammen: Geld, Pfefferminzbonbons, ein Labello-Fettstift, eine Sprühdose mit Mückenspray, die besagten Streichhölzer, das Taschen-messer und noch anderer Kleinkram. Damit mußte sich doch etwas anfangen lassen. Aber Mac kam es so vor, als könne er keinen klaren Gedanken fassen. Er sah, wie Sam mit einen Tauende spielte. Dann griff Sam zu dem SAK. "Ich glaube, ich habe das Beleuchtungspro-blem gelöst. Drück mal die Daumen, daß es klappt." Sam schnitt ein ca. 20 cm langes Stück vom Tau ab. Dann nahm er ein Streichholz nach dem anderen und hielt die Flamme an den Fettstift. Die Hitze verflüssigte das Fett, das nach unten auf das Tauende tropfte. MacGyver begriff, was Sam vorhatte. Eigentlich ziemlich clever. Das trockene Tauwerk saugte das Fett auf wie ein Schwamm. Mac begann, es hin- und herzudrehen, damit das Fett überall gleich-mäßig verteilt wurde. Dann hielt Sam das letzte Streichholz an den Tampen. "Unsere letzte Chance. Entweder es brennt jetzt, oder wir stehen vollständig im Dunklen."
Zuerst rußte es nur etwas. Aber dann ging die Flamme auf den Tampen über. Jetzt konnten sie sich um die Tür kümmern. Es war eine schwere, massive Holztür, die außen von einem Riegel gehalten wurde, den man verkeilt hatte. An der linken Seite befanden sich zwei Scharniere. Als dieses Schiff vom Stapel gelaufen war, wurde in der Seefahrt noch recht wenig Metall verwendet. Selbst die Bolzen in den Türscharnieren waren aus Holz. Hier konnte man anset-zen. Vorsichtig versuchte Mac, mit dem Dorn des Taschenmessers den Bolzen zu bewegen. Aber im Laufe der Jahre hatte er sich festgefressen. Schade, da mußte man wohl etwas nach-helfen. MacGyver überprüfte die Zusammensetzung des Mückensprays. Diese Dinger entfal-teten oft am meisten Wirkung auf der Haut, wenn neben den obligatorischen Trägersubstan-zen noch weitere Zusatzstoffe beigefügt wurden. Das vorliegende Spray basierte auf einer Zitronensäurekombination in Verbindung mit einer fettähnlichen Substanz, die bewirkte, daß es auf der Haut auflag und nicht zu schnell einzog oder verdunstete. Das könnten klappen.
Er sprühte beide Scharniere damit ein, bis die Flasche leer war. "Sie werden das Holz beschä-digen mit der Substanz." - "Lilian,wir müsen alle kleine Opfer bringen. Ich verspreche, ich werde nicht mehr ruinieren als nötig ist." Er wartete einen Moment und drehte dann den Kor-kenzieher des Messers in den Holzbolzen. Mit einem Taschentuch umwickelte er den Griff des Messers. Dann stemmte er sich mit Gewalt gegen die Tür und zog. Zuerst rührte sich gar nichts. Dann, erst langsam, aber dann mit einem Ruck, löste sich der Bolzen aus der Halte-rung. Mac wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Sam? Bitte, stütze die Tür ab, damit sie mich nicht erschlägt, wenn ich den zweiten Bolzen entferne." - "Schon geschehen." Sam stemmte sich dagegen. Der zweite Bolzen leistete etwas mehr Widerstand als der erste. Aber letztendlich gab er auch nach. Die Tür wurde nun nur noch von dem Schloß gehalten. "Okay, Sam. Halte sie weiter fest. Ich werde sie jetzt aus den Angeln rücken und zur Seite schieben. Das müßte das Schloß knacken." Er stemmte sich mit aller Macht dagegen. Dann gab Mac ein Zeichen und beide sprangen zur Seite. Mit einem lauten Knall schlug die schwere Tür auf die Planken auf. Sie stiegen über sie hinweg. Vorsichtig schlichen sie über den Gang zur Treppe. Aber ihre Angst war unbegründet. Die Drei, die sie überwältigt hatten, hatten sich so sicher gefühlt, daß man einen Wache für unnötig gehalten hatte.
Oben an Deck atmete MacGyver erst einmal tief durch. Dieser Waltrangestank war einfach bestialisch. Lilian zitterte immer noch am ganzen Körper. "Was sollen wir jetzt tun?" - "Am besten, wir sagen der Polizei Bescheid, daß sie die Kerle schnappt, bevor sie mit ihren Booten auslaufen." - "Die werden anderes zu tun haben." - "Was schlagen sie als Alternative vor, La-dy? Sollen wir sie vielleicht mit der 'Aina' aufhalten?" Sie waren in der Zwischenzeit den Steg entlang gegangen. Als sie in Reichweite der 'Aina' kamen, hörten sie ein Piepen. "Was ist das für ein Geräusch?" - "Jemand piept das Funkgerät an; das kann nur Wailua sein." Mac schwang sich über die Reling, langte nach dem Sprechgerät und schaltete es ein: "Hier ist die 'Aina'. Wer spricht?" Er ließ den Sprechknopf los. "Hier ist Wailua. Ist Lilian da? Sie soll so-fort kommen. Die Walmutter tobt durch das Becken. Ich weiß nicht, was ich machen soll." - "Keine Panik. Wir kommen sofort. Machen sie jetzt bitte die Leitung frei." Er schaltete an den Anrufkanal. "Maui Police, Maui Police, Maui Police. Hier ist die 'Aina', 'Aina', 'Aina'. Das ist ein Notfall. Hören sie mich?" "Wir verstehen sie gut, 'Aina'. Sprechen sie." MacGyver be-richtete von dem Zwischenfall auf der Carthaginian II. Der Beamte versprach, die Küstenwa-che zu informieren. Aber ein Verstoß gegen ein Gebot war eigentlich erst nachzuweisen, wenn die Bojen das Queren der Bucht untersagten. Die Bojen waren aber noch an Bord der 'Aina'. Solange die Wale nicht da waren, durften sie nicht ausgebracht werden. Es war ein Teufels-kreis. Die Rennboote würde verhindern, daß die Wale in die Bucht kamen, und solange sie nicht drin waren, konnte man sie nicht schützen. "Was hat die Polizei gesagt?" wollte Lilian wissen. "Das übliche. Sie geben das Ganze an die Küstenwache." - "Scheiße", Lilian fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Was machen wir denn jetzt?" - "Wie fahren nach Maalaea. Wai-lua hat gesagt, die Wale benehmen sich auffällig." Lilian rannte los zum Wagen. "Schnell, das ist ein Zeichen. Die Anderen werden also bald eintreffen. Wir müssen uns beeilen."
Sie hasteten zum Wagen. Mac holte auf der Uferstraße das letzte aus dem Motor heraus. Lili-an krallte sich auf dem linken Sitz in der Kopfstütze fest. "Wir müßten sie irgendwie orten können. Es ist aber auch zu dumm, daß die Radaranlage noch defekt ist." Mac sah genervt in den Rückspiegel. "Entschuldigung. Aber genau da bin ich unterbrochen worden. Sie erinnern sich vielleicht." Lilian nickte beschwichtigend. "Mmh," MacGyver grinste auf einmal. "Sie haben doch gesagt, einige der Wale senden Ortungssignale aus? Ich glaube, ich weiß, wo wir Hilfe bekommen." Er deutete zum Haleakala. "In Science City steht das sensibelste Ohr der Welt. Das sollte eigentlich reichen." - "Okay, ich fahre mit ihnen hoch." Lilian zögerte nicht lange. "Aber irgendjemand muß Wailua helfen. Sie soll die Wale aus dem Bassin lassen und sich mit den zusätzlichen Bojen bereithalten." Sie hielten kurz an der Forschungsstation, um Sam aussteigen zu lassen. Dann fuhren sie weiter.
MacGyver schaffte den Weg hoch nach Science City in Rekordzeit. Lilian blieb nichts anderes übrig, als sich gut festzuhalten.Sie schickte ein Stoßgebet zu Pele, daß der Wagen nicht von der Straße abkommen möge oder sich überschlug. Aber diesmal war die Göttin wohl auf ihrer Seite.
In Science City trugen sie sich am Tor als Besucher ein. Das war nicht außergewöhnlich. Denn es gab hier regelmäßig Führungen. Heute waren sie allerdings die einzigen Interessen-ten. Mac sprach das junge Mädchen an, das die Führung durchführen wollte und erklärte ihr den Grund ihres Besuches. Das Mädchen war eindeutig nicht der richtige Ansprechpartner, aber sie führte sie direkt zur Steuerzentrale des Instituts. Diesmal war es Lilian, die versuchte, ihr Anliegen zu erklären. Der Name 'Kapena' machte einen enormen Eindruck auf den Astro-physiker vom Dienst. Normalerweise sah sein Aufgabenfeld zivile Nutzung eigentlich nicht vor. Aber es gelang MacGyver und Lilian schließlich, ihn von der Wichtigkeit ihrer Sache zu überzeugen. Lilian nahm den Zettel, auf dem sie die Frequenzen immer bei sich trug, aus ihrer Geldbörse. Der Wissenschaftler speiste sie in den Computer ein. "So, das dürfte reichen. Den großen Schirm können wir nicht so weit nach unten drehen, daß er das Meer abtastet. Aber wir haben noch kleinere Schüsseln; die müßten eigentlich reichen." Er drückte die 'Enter'-Taste und wartete. Die Radaranlage suchte nun nach den Frequenzen. Ein pfeifender Signal-ton zeigte nach kurzer Zeit an, daß etwas geordet wurde. "Da haben wir es ja schon. Ich lege es auf die große Anzeigetafel." Und es entwickelten sich auf der Monitorwand die Umrisse der Insel und des Festlandes. Einige kleine Punkte zogen vom Festland auf die Inseln zu. "Da sind sie." Lilian strahlte über das ganze Gesicht. "Sie ziehen von Alaska aus die ganze Küste hinunter und drehen dann auf Westkurs." - "Ich kann ihnen den Ausschnitt auch vergrößern." Ein paar Knöpfe wurden gedreht. MacGyver beobachtete, wie sich das Bild verschob. Dann legte der Wissenschaftler noch ein Raster darauf. "Bei der Geschwindigkeit, die die Tiere drauf haben, müssten sie in zwei Stunden den Einzugsbereich der Insel erreichen." - "Ja, dort schwärmt dann die Gruppe aus. Dann kann die Bucht gesperrt werden." MacGyver tippte den Wissenschaftler an: "Darf ich mal ihr Funkgerät benutzen?" - "Klar, wenn sie nicht gerade ein Gespräch mit Nepal anmelden."
Dieser Scherzbold machte jetzt auch noch Witze. "Ich rufe Maalaea Whaling Station. Könnt ihr mich hören?" - "Laut und deutlich." - "Sam, die Wale werden in ca. 2 Stunden in der Bucht sein. Ich solltet euch bereithalten. Was ist mit den Rennbooten?" - "Die Küstenwache hat ge-meldet, sie machen sich gerade zum Start bereit. Sie kommen aus Molokai. Das ist eine Pri-vatinsel. Dort können sie nicht eingreifen. Keo Kipahulu ist nach Makena gefahren. Er sagt, er hat dort ein Boot, daß annähernd so schnell ist, wie die Cigarett-Boote, die das Rennen fah-ren." - "Okay, er soll noch warten. Wir kommen dorthin. - "Alles klar. Over." - "Over and out." - "Was ist passiert?" Lilian sah MacGyver entsetzt an. "Es ist das eingetreten, was ihr Vater gefürchtet hat. Wir müssen nach Makena. So schnell wie möglich. Vielleicht besteht doch noch eine Möglichkeit, das Rennen aufzuhalten." - "In einer Stunde nach Makena? Das schaffen wir nie." Ihre Stimme schien fast hysterisch umzuschlagen. "Da müßten wir ja flie-gen können." - "Mmh, fliegen. Die Idee ist gar nicht so schlecht. Ich habe vorhin draußen Metallboxen im Gang stehen sehen. Warten sie einen Moment. Ich schaue mal eben nach, ob ich mit meiner Vermutung recht habe." MacGyver hastete zurück auf den Flur, den Gang ent-lang. In einer Nische fand er die Kisten, die er meinte. Ja, das war die Lösung. Er ging zur Radarstation zurück. "Wem gehören die Ultra-Lights, die da draußen im Flur stehen?" - "Hier arbeiten im Moment zwei Praktikanten. Sie wollten sich den Krater mal von oben ansehen, aber der Strum ist ihnen dazwischen gekommen." - "Sind die beiden heute hier?" - "Ja, sie arbeiten draußen an einer der Außenantennen, die im Wind beschädigt wurden. Warum?" - "Wir müssen so schnell wie möglich nach Makena. Die Zukunft der Wale hängt davon ab." - "Okay, fragen sie sie. Hier ist sowieso bald Feierabend." Er rief ihnen noch 'Viel Glück' hin-terher, aber das hörten sie schon nicht mehr. Aber sie hatten Glück. Gegen Auslagenerstattung und ein Trinkgeld waren die Zwei bereit, ihren Flug heute zu machen und einen Zwischenstop in Makena einzulegen. MacGyver konnte sehen, wie Lilian die Erleichterung ins Gesicht ge-schrieben stand.
Mit Fallschirmen und Paraglidern war MacGyver ja schon unterwegs gewesen. Der Flug mit einem Ultra-Light hatte heute Premiere. Diese Dinger bestanden aus einem Zwei-Takt-Motor, Aluminiumstangen und Plexiglasflügeln. Eigentlich waren sie nur für jeweils eine Person ausgelegt. Aber besondere Situationen machten besondere Zugeständnisse erforderlich. Wenn man sich schmal machte, konnte man zwischen Motor und Sitz noch jemand unterbringen. Und schließlich würde ihr Flug ja nicht lange dauern. Lilian sah MacGyver zweifelnd an. "Sie glauben wirklich, daß wir das überleben?" MacGyver nickte. "Wenn sie so wollen, nehmen sie es als Herausforderung an die hawaiianischen Götter. Ihr Leben für das Leben der Wale. Wäre das nicht ein faires Geschäft?" Lilian tat so, als wolle sie ihn in den Magen boxen. "Sie sind ein Ekel, mit dem Taktgefühl einer Honigwabe." - "Ich zahle nur heim, was sie austei-len." Bevor sie da Thema vertiefen konnten, mischten sich die beiden Piloten ein. Sie hatten ihre Fluggeräte überprüft, entsprechend getrimmt und die Flugroute festgelegt. Dem Flug stand nun nichts mehr im Wege.
Sie schlossen ihre Jacken. Mac setzte seine Mütze auf. Lilian hatte ihre Haare hochgesteckt und mit einem Tuch bedeckt. Helme für Copiloten waren leider nicht vorhanden. Also mußte es so gehen. Die Motoren liefen gleichmäßig und leise. Mit Vollgas schossen sie über den Parkplatz von Science City. Kurz vor der Kante zogen die Ultra-Lights steil nach oben. Es war ein komisches Gefühl, in diesem leichten Gestell durch die Luft zu fliegen, den Motor mit dem Benzintank direkt im Rücken. MacGyver zwang sich, nicht hinunter zu sehen. Stattdes-sen fixierte er den Nacken seines Vordermannes. Der Fahrtwind zerrte an seiner Kleidung. Lilian hingegen schien den Flug zu genießen. Sie war fast enttäusht, als sie schon nach kurzer Zeit in Makena landeten. MacGyver klopfte seinen Piloten anerkennend auf die Schulter. Er hatte eine gekonnte, weiche Landung hingelegt. Die Beiden hielten sich nicht lange auf. Sie hatten die Motoren erst gar nicht abgestellt, sondern starteten gleich wieder durch. Lilian sah ihnen nach. "Ich wußte gar nicht, daß es soviel Spaß macht, so unmittelbar durch die Luft zu gleiten. Wie ein Vogel." - "Ja, ja. Genug jetzt. Ich glaube, wir haben im Moment ein anderes Problem, oder?" Sie nickte. "Wissen sie, wo Keo Kipahulu sein Boot liegen hat?" - "Da gibt es in Makena nicht viele Möglichkeiten. Die meisten Anleger gehören zu den Hotelburgen. Es gibt nur wenige freie Plätze. Ich wußte gar nicht, daß Keo so ein Boot hat. Hoffentlich ist es schnell genug." Sie führte MacGyver zur Pier.
Dort kam ihnen Keo bereits entgegen, mit beiden Armen winkend. "Hierher. Sie müssen sich beeilen. Sie werden jeden Moment hier vorbeikommen. Ich habe schon alles vorbereitet." MacGyver glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als Keo sie zu seine